Morgensterns Rückblick
Erinnerungen an das Abenteuer Kundenzentrum zur Jahrtausendwende.
Von Max Morgenstern
Wissen Sie noch, wie das früher war, zur Jahrtausendwende? Damals, als man für jedes kleine Anliegen zu einem Kundenzentrum seines Energieversorgers pilgern musste, als wäre es eine heilige Wallfahrt? Hach, wie ich diese Zeiten nicht vermisse!
Man betrat das Gebäude, das eher an eine Mischung aus Wartezimmer und Bürokratie-Labyrinth erinnerte, und wusste: Heute wird ein langer Tag. Schon die Nummer am Ticketautomaten zu ziehen, war ein Erlebnis. Man stand da wie bei der Lotterie, nur dass der Hauptgewinn eine genervte Servicekraft war, die sich gerade in ihrer Mittagspause gestört fühlte.
Und dann – das Warten. Gott, das Warten. Es war eine Lektion in Geduld und Selbstbeherrschung. Manche nahmen ein Buch mit, andere versuchten, ihre Mails auf dem Handy zu beantworten, während das WLAN des Kundenzentrums zuverlässig versagte. Und wehe, man verpasste das piepsende Geräusch, mit dem die eigene Nummer aufgerufen wurde – dann durfte man von vorne anfangen.
Wenn man es endlich bis zum Schalter schaffte, folgte die nächste Herausforderung: Kommunikation. Die Mitarbeiter hatten offenbar eine Spezialausbildung in der Kunst des Seufzens und Augenrollens absolviert. “Das können wir hier nicht bearbeiten” war damals so etwas wie das inoffizielle Motto der Energieversorger. Man wurde von einem Schalter zum nächsten geschickt, bis man irgendwann feststellte, dass die Lösung seines Problems vermutlich nur durch eine höhere Macht herbeigeführt werden konnte.
Und dann die Formulare! Berge von Papier, die man ausfüllen musste, oft doppelt und dreifach. Einmal wollte ich nur meinen Stromtarif ändern – am Ende hatte ich das Gefühl, einen Roman verfasst zu haben.
Heute kann ich nur darüber lachen. Heute treffe ich im Kundenzentrum der Stadtwerke Health City mit meiner KI-Assistentin Clara, die mir bei einem frisch gebrühten Kaffee alle Anliegen in Sekunden erledigt. Kein Papier, keine Nummern, keine Augenrollen. Manchmal verweile ich sogar länger als nötig, weil die Atmosphäre so angenehm ist – wer hätte das früher für möglich gehalten?
Aber wissen Sie, was ich manchmal wirklich vermisse? Den Stolz, den man damals empfand, wenn man nach Stunden des Kampfes endlich mit einem erfolgreichen Antrag in der Hand das Kundenzentrum verließ. Es fühlte sich an, als hätte man den Mount Everest bestiegen. Heute ist alles zu einfach. Vielleicht sollte ich Clara mal sagen, dass sie mir absichtlich ein bisschen mehr Widerstand bieten soll – einfach, um das gute alte Abenteuergefühl wiederzuerleben.
Max Morgenstern, der Mann, der früher seinen Stromvertrag in der gleichen Zeit änderte, in der man heute eine Mars-Mission plant, schreibt monatlich seine satirische Kolumne “Morgensterns Rückblick” exklusiv für die Health City News. Morgenstern ist freier Autor und Podcaster und lebt in Berlin.


